Vor dem VfGH vom 20.06.2017

Mündliche Verhandlung für Beschwerdeführer aus NÖ

Am 20.06.2017 wurde vom Verfassungsgerichtshof eine mündliche Verhandlung über die Beschwerden von vier niederösterreichischen Grundstücksbesitzern durchgeführt. Diese wollen aus ethischen Gründen es verbieten lassen, dass auf ihren Grundstücken gejagt wrd. Vertreten wurden dabei zwei Waldviertler Eigentümer vom Rechtsanwalt Mag. Christian Aichinger und die Beschwerdeführer aus der Nähe von Melk und Raum Wiener Neustadt von Mag. Stefan Traxler.

Die beiden vom VfGH bestellten Auskunftspersonen, Univ. Prof. Dipl.-Biol. Dr.rer.nat. Klaus Hackländer, Leiter des Instituts für Wildbiologie und Jagdwirtschaft der BOKU Wien und Univ. Prof. DI Dr. Hubert Hasenauer, Leiter des Instituts für Waldbau der BOKU Wien wurden von den Anwälten der Beschwerdeführer im Vorfeld als befangen abgelehnt. Stattdessen wurde von den Anwälten drei andere Auskunftspersonen genannt, die der Jagd kritisch gegenüber stehen:

* Dr. rer. nat. Dipl. Ing. Dipl. Ökologe Karl–Heinz Loske, Ornithologe, Umweltsachverständiger und ehemaliger Jäger
* Prof. Dr. Rudolf Winkelmayer, Jagdethiker, Tierarzt und ehemaliger Jäger
* Univ.Prof. Dr. rer. nat. Josef H. Reichholf, Zoologe, Ornithologe und Evolutionsbiologe, Verfasser zahlreicher Fachbücher

Prof. Reichholf musste kurzfristig aus persönlichen Gründen das Erscheinen absagen. Allerdings antwortete er schriftlich auf vier wesentliche Fragen, die der VfGH vorab den Beschwerdeführern stellte, wie folgt:

Stellungnahme zu den Fragen 1 – 4 zur Anhörung am 20. Juni 2017 im Verfassungsgerichtshof Wien zur angestrebten Freistellung privater Flächen von der jagdlichen Nutzung (20170607134442989)

1. Welche Auswirkungen hat die Jagd auf das ökologische Gleichgewicht? Wie gewährleistet die Jagd die öffentlichen Interessen der Biodiversität, des Artenreichtums und der Vermeidung von Wildschäden?

Das ökologische Gleichgewicht ist eine Vorstellung, welche die Jäger selbst dazu entwickeln, welche Wildarten in welchen Bestandsgrößen in ihren Revieren leben sollen. Mit einem sich ohne jagdliche Eingriffe einstellenden, dynamischen Naturzustand (der meist mit dem Ausdruck „ökologisches Gleichgewicht“ gemeint wird) hat das wenig bis nichts zu tun. Denn es liegen Nutzungsinteressen zugrunde, und nicht etwa eine sich möglichst selbst regulierende Natur.

Infolgedessen haben Naturschützer andere Vorstellungen vom ökologischen Gleichgewicht als Jäger. Der Zustand, der sich ohne nutzungsorientierte Eingriffe seitens der Jäger einstellt, kommt einem natürlichen ökologischen Gleichgewicht auf jeden Fall näher als ein von jagdlichen Interessen gelenkter.

Die öffentlichen Interessen in Bezug auf Biodiversität, speziell Artenreichtum, differieren sehr stark bezüglich der bejagbaren Arten und ihrer Häufigkeit. Denn diese werden von den Jäger so zu steuern versucht, dass die Bestände des Nutzwildes möglichst groß sind und bleiben, während die in der Jägersprache „Raubwild“ und „Raubzeug“ genannten Arten dezimiert bis lokal/regional oder großflächig ausgerottet wurden bzw. an ihrer Wiederausbreitung gehindert werden (Luchs, Wolf, Braunbär bezüglich der Wiederkehr; Fuchs, Marderarten und größere/große Greifvögel sowie die Krähenvögel bezüglich der Häufigkeit).

Artenzusammensetzung und Häufigkeit der verschiedenen Wildarten weichen daher in so gut wie jedem Jagdrevier grundsätzlich von einem Zustand ab, der sich ohne Bejagung einstellen würde. Hinzu kommt, dass die Bejagung die davon betroffenen sowie ihnen ähnliche, jedoch vollständig geschützte Arten (sehr) scheu macht, so dass sie für die Öffentlichkeit kaum/schlecht oder nur auf größere Entfernung zu beobachten und erleben sind. Jagd macht das Wild scheu.

Das hat auch Konsequenzen auf die ökologischen Wirkungen der dadurch scheu gemachten Arten: Die Mehrzahl (Säugetiere; jagdlich: Haarwild) versucht sich durch weitgehende nächtliche Aktivität den jagdlichen Nachstellungen zu entziehen è stark erhöhtes Risiko von Wildunfällen, wenn die Tiere in der späten Dämmerung und nachts über Straßen wechseln. Teile des möglichen Lebensraumes der bejagten Haarwild- und Vogelarten können wegen der übergroßen Scheu von diesen Tieren nicht genutzt werden. Das macht einerseits die seltenen Arten noch seltener und fördert andererseits die Wildschäden durch Ansammlung des Wildes in störungsarmen Zonen. Solche versuchen viele Jäger mithilfe von Fütterungen / Kirrungen einzurichten.

Wildschäden, die über Bagatellschäden hinausgehen, verursachen die jagdlich gehegten „Schalenwildarten“ (Wildschwein, Reh, Rothirsch sowie lokal einige andere Arten), deren Bestände entweder aufgrund direkter Hegemaßnahmen (Fütterungen, speziell im Winter; Hegeabschüsse zur Bestandsaufbesserung etc.) überhöht sind (è Schalenwildproblem, seit Jahrzehnten ungelöst, da die Bestände auf hohem Niveau bleiben, weil sie durch jagdliche Maßnahmen dort gehalten werden) oder, wie im Fall des Wildschweins, großräumig von der massiven Ausweitung des Maisanbaus profitieren (Mais = Schweinefutter) und es in der entscheidenden Zeit des starken Anwachsens der Wildschweinbestände viel zu geringen Abschuss gegeben hatte, weil nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ihr Fleisch zu stark radioaktiv kontaminiert war. Die Jagd versucht zwar über Abschussplanung das Schalenwildproblem in den Griff zu bekommen, jedoch offenbar unzureichend, da dieses Problem auch nach Jahrzehnten alles andere als gelöst ist.

Der Artenreichtum hat hingegen bei jenen Arten/Gruppen zugenommen, die in der jüngeren Vergangenheit von der Jagd ausgenommen und unter Schutz gestellt wurden, wie bei den (größeren/großen) Greifvögeln (Adler, Großfalken), Reihern und einigen anderen Arten. Ohne die Unterschutzstellung auf EU-Ebene hätte der Wolf keine Chance auf eine Rückkehr gehabt. Das Schicksal von Luchs oder des wieder zuwandernden Goldschakals hängt nicht von der Eignung der Kulturlandschaft für diese Arten ab, sondern ob die Jäger sie überleben lassen. Die verbreitete Ablehnung der Rückkehr „großer Beutegreifer“ und die sehr oft völlig ungerechtfertigten Abschüsse von Hunden und Katzen drücken ganz klar aus, dass das jagdliche Ziel nicht die Vermeidung von Wildschäden oder die Regulierung der Wildbestände auf das ökologisch richtige Niveau ist.

Abgesehen von der Gewinnung von Wildfleisch (Wildpret) und in Einzelfällen von Sonderabschüssen gibt es also kein öffentliches Interesse, das die Jagd zu erfüllen hätte. Selbst die Minderung bzw. Vermeidung von Wildschäden, die Besitzer von Grund und Boden fordern, gelingt im österreichischen und deutschen Revierjagdsystem offensichtlich bei weitem nicht so wie angestrebt.

2. Welche Auswirkungen hätte die von den Beschwerdeführern intendierte Nichtbejagung und Einstellung von Wildhegemaßnahmen auf die oben angeführten öffentlichen Interessen? Welcher Unterschied besteht dabei zwischen einer großflächigen, den gesamten Lebensraum von Wildtieren erfassenden und einer „inselhaften“, lediglich einzelne Grundstücke erfassenden, Nichtbejagung?

Die Nichtbejagung einzelner Flächen und die Einstellung von Maßnahmen zur Wildhege auf diesen hat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Auswirkungen auf die öffentlichen Interessen, zumal wenn die Flächen „inselhaft“ in der Landschaft liegen. Im Gegenteil: Öffentliche Interessen können gefördert werden durch abnehmende Scheu von Wildtieren auf diesen Flächen, was interessierten Menschen die Erlebbarkeit heimischer Tiere begünstigt. Nicht einmal auf größeren unbejagten Flächen treten automatisch Probleme auf. Das beweisen die Verhältnisse in Großstädten (Berlin gilt als „Hauptstadt der Wildschweine“, aber auch als „Hauptstadt der Nachtigallen“) ganz allgemein, in denen z. B. Füchse ganz normal am Tag aktiv sind und sich kaum anders als frei laufende Hauskatzen verhalten, sowie die wenigen Naturschutzgebiete, die bei uns völlig frei von Jagd sind (z. B. NSG Hagenauer Bucht bei Braunau am Inn; eine großflächige Inselwelt mit Landanbindung) oder in weit größerer Dimension in Mitteleuropa der Schweizerische Nationalpark (seit über 100 Jahren jagdfrei) und der jagdfreie Kanton Genf.

Das häufig vorgebrachte Argument, eine Einstellung der Bejagung wäre in einer dicht von Menschen besiedelten Kulturlandschaft nicht möglich, widerlegen die Gegebenheiten in Indien mit den gleichen oder sehr ähnlichen Wildarten, wie sie auch bei uns vorkommen. Dass mehr als eine Milliarde Menschen praktisch ohne Jagd auf Wildtiere mit diesen zusammen leben können, drückt in aller Klarheit aus, dass es an der Grundeinstellung der Bevölkerung liegt, ob überhaupt gejagt wird, und wenn ja, wo und wie.

Die angestrebte Jagdfreistellung von Privatgrundstücken bietet zudem die Möglichkeit, objektiv zu überprüfen, wie die Wildtiere in ihren Vorkommen und Häufigkeiten darauf reagieren. Das kann nur im Interesse der Jagd sein, wenn sie über die Auswirkungen der Freistellung Beweise für ihre Ansicht erhält. Jagdpolitisch sollten solche Testgebiete daher geradezu wünschenswert sein.

3. Welchen Einfluss übt das Wild auf land- und forstwirtschaftliche Kulturen aus? Ab welcher Häufigkeit und Schwere spricht man von Wildschäden? Wie stellen sich der Wildeinfluss und die Wildschadenssituation in Niederösterreich dar?

Die Einflüsse des Schalenwildes auf land- und forstwirtschaftliche Kulturen lassen sich nicht allgemein, auch nicht über die so genannte, zumeist kaum mehr als grob abgeschätzte Wilddichte festlegen. Zu sehr beeinflussen örtliche Gegebenheiten und Veränderungen (wie etwa die enorme Ausweitung des Maisanbaus; in Deutschland in den letzten Jahrzehnten auf 2,5 Millionen Hektar) die Attraktivität der Flächen für das Wild und dessen Scheu bzw. das, was die häufig in Wäldern liegenden Ruhezonen bieten. Die durch intensive Bejagung vergrößerte Scheu verstärkt den Wildverbiss im Wald. Das haben z. B. die Verhältnisse im nordostdeutschen Hügelland der „Brohmer Berge“ (Vorpommern) der Deutschen Wildtier Stiftung gezeigt, in denen die Jagd stark reduziert worden ist, um die heimischen Wildtiere erlebbar zu machen.

Zu den speziellen Verhältnissen in Niederösterreich: Generell gilt, dass sich die Wildbestände unterschiedlich auf offene Fluren und Wäldern auswirken. Unbejagte Flächen sollten vom Wild bevorzugt werden und somit unter Umständen sogar in der Umgebung die Wildschäden vermindern. Wer auf seinem Grund keine Jagd haben will, trägt zwangsläufig die Folgen von mglw. darauf erhöhten Wildschäden. Wiederum ist jedoch auf die von der Bejagung ausgenommenen Dörfer und Städte zu verweisen, in denen es offensichtlich nicht zu erhöhten Wildschäden kommt; auch nicht durch die von den Jägern besonders bekämpften Raubwildarten, wie Fuchs und Marder. So leben in München fünf- bis zehnmal so viele Füchse und Marder pro Quadratkilometer (unbejagter) Stadtfläche wie im bejagten oberbayerischen Umland. Ähnliches gilt zahlreichen Berichten zufolge für Wien (und für alle Großstädte in Mitteleuropa). Die draußen im bejagten Gebiet stark verminderten Fuchs- und Marderbestände haben zur Folge, dass sich Mäuse stärker vermehren und damit die Häufigkeit von Zecken stark steigern können. Dass Füchse, Marder und Greifvögel, wie Mäusebussarde, von Mäusen leben und die starke Bejagung dieser Beutegreifer damit den Mäusen zugute kommt, wird in Jagdkreisen offenbar nicht berücksichtigt. Wie langjährige eigene Untersuchungen ergeben haben, hängt die Zeckenhäufigkeit eng von der Mäusehäufigkeit in Wäldern ab. Das hat dann sogar Folgen für die Gesundheit der Menschen (Borreliose, FSME-Virusfieber).

Wildschäden an landwirtschaftlichen Kulturen lassen sich durch entsprechend geschulte und hinreichend objektive Gutachter ziemlich zutreffend ermitteln. Eine 100prozentige Freiheit von Produktionsverlusten an frei lebende Tiere gibt es nicht. Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums setzt voraus, dass im Interesse der Allgemeinheit auch Wildtiere in der Kulturlandschaft leben können sollten, und zwar in erlebbaren Häufigkeiten. Dementsprechend ist auch das Verfahren, Wildschäden im Wald zu ermitteln, fachlich sehr umstritten. Erstens handelt es sich beim allergrößten Teil der Wälder nicht um Naturwald, sondern um gepflanzte Forste, deren Baumarten keineswegs immer, oft sogar ziemlich wenig, den standortgemäßen Verhältnissen entsprechen. Eine Entwicklung, die Naturverjüngung zulässt, verträgt jedoch ungleich mehr Wildverbiss als in Reih und Glied gepflanzte, standortfremde Bäumchen. In jeder Naturverjüngung gehen fast alle der Zehntausende Jungbäume (Sprösslinge) durch Konkurrenz untereinander zugrunde. Wildverbiss wirkt sich nahezu nicht aus.
Das beweisen die auf großen Flächen völlig sich selbst überlassen aufwachsenden Baumbestände auf den Inseln und Anlandungen in den Stauseen am unteren Inn (Oberösterreich & Bayern), die inklusive Biber und ihrer Tätigkeit als echte Urwälder aufwachsen. Wo aber einzelne Tannen in Fichten- oder Buchenforsten nachgepflanzt werden, führt schon ein unbejagbar geringer Rehwildbestand zu Verbissausfällen. Eine schablonenhafte Festlegung wird den Gegebenheiten und Entwicklungen in der Natur daher nicht gerecht.

Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die zusätzlich zu den Ortschaften entstehenden, inselartig unbejagten Flächen in dieser Hinsicht keine Änderung bewirken. Denn sie sind in Bezug zur insgesamt im Gebiet / in der Region vorhandenen, nicht bejagten Fläche zu werten.

4. Welche äußeren Faktoren beeinflussen den Wildeinfluss bzw. die Wildschadenssituation? Durch welche Maßnahmen könnten Wildschäden angesichts dieser Faktoren und innerhalb des – durch die vermehrte Inanspruchnahme der Natur durch den Menschen – begrenzten Lebensraumes des Wildes bestmöglich vermieden bzw. reduziert werden?

Aus den Ausführungen zu Punkt 3 geht bereits hervor, dass sich Wildverbiss und davon verursachter Schaden nicht einfach von der Bestandsgröße der betreffenden Wildtierarten ableiten lassen. Hinzu kommt eine Gegebenheit, die in diesem Punkt völlig zu Recht mit angeführt wird, nämlich die „vermehrte Inanspruchnahme der Natur durch den Menschen“. Gemeint sind die davon ausgehenden Störungen des Wildes, das keine Ruhe mehr findet. Der Freizeit- und Erholungsbetrieb dringt in die letzten Winkel der Wälder und Berge. Doch – und das ist nachdrücklichst zu betonen – die davon verursachten Störungen sind eine Folge der Scheu, die von der Bejagung verursacht worden ist. Das beweisen wiederum die Wildtiere in den Großstädten (und in Großregionen, wie Indien) und der so genannte Nationalparkeffekt. Den stärksten Kontrast zur (tatsächlich nicht) „normalen Scheu“ der Wildtiere bietet das militärische Übungsgelände. Wo Krieg gespielt, auf die Tiere aber nicht scharf geschossen wird, geht es ihnen am Besten. Die Truppenübungsplätze übertreffen an Bedeutung für den Artenschutz die Naturschutzgebiete bei uns bei weitem.

Die hohe Störanfälligkeit des Schalenwildes vergrößert hingegen das Risiko gravierender Wildschäden, da ein zu großer Teil der freien Natur den Störungen ausgesetzt ist, die das Wild zu häufigen Fluchten und zur Konzentration an wenigen Stellen zwingen. Zahlreiche Revierinhaber teilten in Gesprächen mit, dass sie ihr Wild gezielt zu Stellen zu locken versuchen (mit Fütterung/Kirrung), die nicht gestört werden. Verminderte Scheu würde die Nahrungsaufnahme stärker in der Fläche verteilen und damit die Wildschäden mindern.

Es wäre aufschlussreich, festzustellen, wie sich die Verhältnisse entwickeln, wenn in der freien Natur Flächen vorhanden sind, die nicht bejagt werden.


(C) 2011 - Alle Rechte vorbehalten

Diese Seite drucken